Der CSD im Wandel der Zeiten: Auf Spurensuche in Hamburg. Dort hat Chris Lambertsen schon beim ersten CSD 1980 fotografiert. Das tat er bis heute jedes Mal
Heute gehört der CSD in Hamburg zu den größten in Deutschland. Rund 100.000 Besucher und Besucherinnen säumen die Straßen während der Parade. 10.000 Teilnehmer ziehen mit bunten Wagen durch die Innenstadt. Die politische Demonstration von einst ist heute eine bunte Parade. Das sah zu Beginn der 80er-Jahre ganz anders aus. DU&ICH hat sich auf die Suche nach Zeitzeugen gemacht und gefragt: Wie war das eigentlich damals beimersten CSD?
1979 gab es die ersten CSDs in Deutschland. Vorreiter waren Berlin und Bremen. Ein Jahr später kamen bereits München und Hamburg hinzu. Der Paragraf 175, der männliche Homosexualität lange kriminalisierte, war in der BRD zwar 1969 entschärft worden, galt aber dennoch zu dieser Zeit. Gleichzeitig war das politische Klima um 1979 aufgeheizt. Die 80-er-Jahre der BRD waren eine Zeit des politischen Umdenkens. Die Nachkriegsgeneration forderte die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Erfahrungen ihrer Eltern und stellte Fragen zur Geschichte. Protestbewegungen gegen unterschiedliche Ungerechtigkeiten bekamen Aufwind. Friedensbewegung, linker Aktivismus, Feminismus und Umweltschutz waren zentrale Themen. Auch Schwule und Lesben wurden von dieser politischen Atmosphäre mitgerissen. So entstanden unter anderem die ersten CSDs in Deutschland im Gedenken an die „Stonewall-Unruhen“ in New York. 1969 kam es in dem New Yorker Stadtteil Greenwich Village zu Aufständen von Homosexuellen. Ende der 60er-Jahre hatten sich dort zum Missfallen der Staatsgewalt einige schwule und lesbische Bars etabliert. 1969 kam es verstärkt zu Razzien der Polizei. Am 28. Juni 1969 marschierte eine Horde Polizisten in die Bar „Stonewall Inn“ in der Christopher Street. An diesem Tag reichte es den anwesenden Schwulen und die Situation eskalierte – dies ist der Beginn der CSD-Ära.
Die „Spiegel-Affäre“
Bis dieser mutige Widerstand in Deutschland ankam, dauerte es aber noch einige Jahre. 10 Jahre später zogen 400 Demonstrierende in Berlin im Andenken an die New Yorker Unruhen durch die Straßen. 1980 trauten sich auch die Hamburger Schwulen und Lesben.
Denn auch in Deutschland litten Schwule unter den staatlichen Repressalien. Insbesondere Hamburg sorgte in den 80er-Jahren für Skandale. Schwule wurden dort immer noch polizeilich erfasst. Auch wenn die Polizei bereits 1980 dementierte, „Rosa Listen“ zu führen, auf denenSchwule verzeichnet wurden, sah die Realität anders aus: Mit der Hamburger „Spiegel-Affäre“ deckte Corny Littmann – damals Spitzenkandidat der Grünen in Hamburg – 1980 medienwirksam die skandalöse Vorgehensweise der Polizei auf.
Zentraler Treffpunkt und nahezu einzige Möglichkeit für Schwule, ihre Sexualität auszuleben, waren damals die sogenannten Klappen. Architekturhistoriker Wolfgang Voigt stürmte eines Tages einige dieser öffentlichen Toiletten und zerstörte die Spiegel. Dahinter fand er in kleinen Nischen sitzende Polizeibeamte! Littmann inszenierte dies öffentlichkeitswirksam. Er marschierte 1980 mit Kameras und einem kleinen Hammer bewaffnet in eine Klappe, zerstörte einen Spiegel und enttarnte den verdeckten Polizeibeamten. Dieser saß in einem versteckten Raum auf vier Quadratmetern und beobachtete heimlich durch den Einwegspiegel Männer beim Urinieren oder eben Schwule, die ihrer Lust frönten.
Am nächsten Tag präsentierte Littmann die durchsichtigen Scherben der Presse und trat damit einen Skandal los. Schwule hatten infolgedessen erstmals einen offiziellen Beweis für ihre Überwachung durch die Polizei. Die Massenmedien schlugen sich auf die Seite der Diskriminierten und verurteilten dieses Vorgehen als Menschenrechtsverletzung. Lesben solidarisierten sich gegen den Paragraf 175, auch wenn sie nicht betroffen waren.
Aufbruchstimmung
In dieser Stimmung organisierten Engagierte den ersten CSD in Hamburg. Das Motto: „Gegen die Diskriminierung der Homosexuellen. Wir sind viele!“ Am 28. Juni 1980 zog der Demonstrationszug von Lesben und Schwulen fröhlich durch die Innenstadt zum Schanzenpark. Es war der Höhepunkt der zuvor abgehaltenen Hamburger „Stonewall-Aktionswoche“.
Chris Lambertsen war damals 27 Jahre und studierte an der Hochschule für bildende Künste. Er bekam Wind von der geplanten Demo, schnappte sich seine Kamera und ging kurzerhand hin. „Plötzlich waren da ganz viele Schwule und Lesben. Sonst traf man sich eigentlich immer nur abends in der Subkultur. Und plötzlich war das irgendwie draußen und es waren ganz viele. Viele kannte ich gar nicht. Das war aufregend“, berichtet Chris heute davon. 1.500 Menschen waren beim ersten CSD in Hamburg dabei und hielten Plakate mit Sprüchen wie
„Rosa Hilfe grüßt die Ärsche der Welt“.
Ursprünglich ging Chris aus Interesse hin und weil es ihm wichtig war. Doch ihm war damals nicht klar, wie wichtig es sein würde. Heute blickt er auf ein Berufsleben als Fotograf zurück und hat 30 Jahre den CSD
in Hamburg fotografiert. Letztes Jahr brachte er einen ergreifenden Bildband heraus: „Schwul-lesbische Sichtbarkeit. 30 Jahre CSD in Hamburg“, der auch die Geschichten drum herum erzählt.
Wenn er jetzt über 1980 spricht, berührt das. Er hatte sein Coming-out bereits 1974 mit 20 Jahren. Er lebte seitdem mit seinem Freund in einer kleinen Wohnung in Hamburg zusammen und dennoch war Zärtlichkeit
auf der Straße für ihn absolut tabu. Sexuelle Identität fand im Privaten statt und nicht in der Öffentlichkeit. „Das hat sich aber 1980 mit dem CSD verändert. Das war eine Politisierung“, erzählt Chris weiter. Wenn er heute zurückblickt, erkennt er die Bedeutung des CSDs auch für seine persönliche Entwicklung: „Das war wichtig für mein schwules Selbstbewusstsein. Ich habe damit eben nicht nur das Glück abends in der schwulen Subkultur gefunden oder mit meinem Freund, sondern ich wusste dann, hey, ich bin nicht alleine.“
Widerstand mit aller Gewalt
Begleitet wurde der bunte Tross damals von einem Wagen, aus dem Polizisten die Demonstrierenden fotografierten. Für die Beteiligten manifestierte sich hier die staatliche Überwachung. Am Ende reichte es
einigen Demonstrierenden und sie begannen die Fenster des Autos mit ihren Jacken zu verhängen. Das führte schließlich zu Rangeleien und gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei im Schanzenpark, so dass diese Verstärkung fordern musste, um des Aufstands wieder Herr zu werden.
Chris sieht heute nicht nur die Bedeutung für seine Entwicklung, sondern auch für die folgenden Generationen. „Ich find es natürlich klasse, was in den 30 Jahren Geschichte passiert ist. Die Hauptforderung damals war ja die Abschaffung des Paragrafen 175 und das forderten Schwule und Lesben gemeinsam“, fasst er zusammen. Seit 1994 gibt es keinen Paragrafen 175 mehr und der CSD in Hamburg ist eine Massenveranstaltung, der politische Aspekt scheint für manche verloren. „Es gibt heute natürlich viele Leute, die sagen: ,Wir wollen Spaß haben
und das Politische interessiert uns nicht.‘ Aber ich kann nicht erwarten, dass sie sagen: ,Prima, dass ihr vor 30 Jahren für uns auf die Straße gegangen seid‘. Und das will ich auch gar nicht! Ich erfreue mich trotzdem
am CSD heute. Dass man heute sagt, das ist auch ein großes Fest und eine Party, das finde ich völlig legitim.“
Was bleibt?
In den 80er-Jahren ging es um die Abschaffung des Paragrafen 175 und die Veränderung vom Privaten ins Öffentliche. Heute kämpfen Schwule, Lesben und Trans noch immer für Gleichberechtigung und Sichtbarkeit. Dennoch sind die Ziele nun andere. Es geht um Ehe, Familie und internationale Belange.
In den über 30 Jahren CSD-Geschichte in Deutschland hat sich das politische Klima verändert. Dennoch haben noch immer viele Schwule und Lesben Angst, sich in Familie und im Arbeitsumfeld zu outen. Wirft man einen Blick auf die Schwulenbewegung, macht das Mut. Immerhin hatten schon vor über 30 Jahren Schwule die Courage, sich zu ihrer Sexualität zu bekennen und dafür zu kämpfen.
Dana Müller
In: DU&ICH, Nr: 06/07 2012, Seite 26-28
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